Sandor Márai zum 125. Geburtstag (11.4.1900 – 21.2.1989)
Den ungarischen Autor Sandor Márai und besonders dessen schonungslose Tagebücher verehrt der Alte sehr.
Sandor Márai schreibt in
(2002) Tagebücher 1984-1989. München, Piper.:
«(…), daß nie die Mehrheit zählt, sondern immer und zu jeder Zeit nur die sehr wenigen, die anders sind.» (S. 67)
So stemmt er sich denn in seinen Werken gegen die modernen Tendenzen der Gleichmacherei, aber auch gegen die Übermacht gängiger linguistischer Praktiken und Definitionen.
Nuancen, Zögerlichkeit und Stammeln prägen seine Sicht auf die Sprache allgemein sowie auf die Praktiken des Schreibens:
«Wie selten ist in einem Gedicht die ‚Poesie‘. Gedichteschreiben ist keine Poesie. Manchmal ist ein Wort die Poesie.» (S. 113)
«Die Muttersprache ist nicht nur der Sinn, der begriffliche Inhalt von Wörtern, sondern manchmal auch ein Punkt, ein Akzent.» (S. 119)
«Nur nicht „leicht“ schreiben. Endlich, endlich stammeln!» (S. 134)
(2009) Literat und Europäer – Tagebücher 1 1943-1944. München, Piper.
Am schönsten sieht der Alte Sandor Márais Einsichten in das Wesen der Sprache in folgendem Ausschnitt aus (2004) Wandlungen einer Ehe. München, Piper. bestätigt:
«Lazar mochte ein Stück von Strindberg sehr, das Traumspiel. (…) Er sagte, in diesem Drama komme jemand vor, dessen sehnlichster Wunsch es ist, vom Leben mit einem grünen Angelkasten beschenkt zu werden, (…) Und dieser Mensch wird alt, das Leben vergeht, bis sich die Götter schließlich erbarmen und ihn mit dem Anglerkasten beschenken. Und dann tritt der Darsteller, in der Hand das langersehnte Geschenk, an die Rampe vor, untersucht den Kasten gründlich und sagt dann tieftraurig: “Das ist nicht das richtige Grün …”.» (S. 280, 281)
Der Alte teilt auch Márais tiefe und pessimistische Skepsis hinsichtlich aller pädagogischen Tricks und Absichten. So schreibt Márai in (2009) Literat und Europäer – Tagebücher 1 1943-1944. München, Piper.:
«Und ich werde zukünftig wie schon in der Vergangenheit wissen, dass der Mensch durch Erziehung nicht zu bessern ist. Ich werde mich selbst erziehen, bis zum Tod, und wissen, dass jede Mühe vergeblich ist.» (S. 371)
Angesichts der uns gegenwärtig bedrängenden existenziellen Sorgen formuliert Márai in
(2009) Unzeitgemäße Gedanken – Tagebücher 2 1945. München, Piper. die auch den Alten umtreibende und beängstigende Fragen:
«Wer soll hier in einem Cambridge, in einem Oxford und, was noch wichtiger ist, in den Grundschulen Recht und Moral, Anstand lehren? Die Kinderseelen mit Ehrfurcht vor anderen und deren Besitz erfüllen?» (S. 27)
Auch zu den in der Jean-Jaurès Schule von den Kindern auszuführenden ´chefs d´oeuvre´ finden sich bei Sandor Márai erhellende Worte, wenn er den gestaltenden Instinkt über Plan und Absicht stellt:
«(…) der Plan und die Absicht erschlagen das Werk (…)» (S. 314)
Der Alte empfiehlt die Lektüre dieses sich selbst nicht schonenden Autors.
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