Erwin Strittmatter zum Todestag (14.8.1912 – 31.1.1994)
Der nach seinem Tode kaum geschonte und arg gebeutelte DDR-Schriftsteller Erwin Strittmatter, Ehemann der Lyrikerin Eva Strittmatter, hat vor allem in seine Trilogien Der Laden und Der Wundertäter Passagen hineingeschrieben, welche für den Alten eindrucksvoll Canettis Feststellung belegen: „Eine Sprache macht die andere elastisch.“
Für den Alten ist diese diffuse Elastizität eine präzise Beschreibung des Schwebezustandes multipler Nuancen und Timbres, in dem sich die Sprachen in Luxemburg und in seiner Grenzregion befinden und entwickeln.
Nun zu den Auszügen aus den Werken Strittmatters:
«Das Leben verschmälert sich, wenn man nur mit Wörtern über es redet, die einem vorgeschrieben sind. (…) Das Sextaner-Mützengrün hat ausgedient; ich stülpe mir das Mützenblau der Quintaner auf den Kopf. Die Rapschinskin sagt, meine Mütze wäre nicht blau, sondern bleu. Bleu wäre französisch und nicht ganz blau. Mein Kopf schleppt also Bleu durch die Umgebung. Direkt bleu isse nich, sagt meine Mutter von der Mütze, aber blau isse ooch nich. (…) Die Zeit hat das Bleu ihrer Mützen in ein Greu verwandelt, und nur ich weiß, daß die Zierbandborten am unteren Rand ihrer Mützen funkelten. (…)
In der Bierverlegerei wird eine Schreibmaschine, Marke Mignon, angeschafft. Wenn ich den Namen Mignon höre, färbt sich für mich der Himmel blau, und an Apfelbaumzweigen hängen goldene Orangen. Das kommt von einem Gedicht her; das bewirkt die Kraft, die in einigen verdichteten Sätzen steckt.
(1983) Der Laden – Zweiter Teil. Berlin, Aufbau. S. 61, 158, 159
«’Bist du krank, Lena, oder gar malade?’.»
(1995, 1973) Der Wundertäter – Zweiter Teil. Berlin, Aufbau. S. 303
Erwin Strittmatters Ansagen zur Schule sind direkt, markig und kantig. Das gefällt dem Alten.
«Weshalb nicht die Erkenntnisse der Altvorderen nutzen? Sie werden einem auf Schulen vermittelt. Leider wird der Sinn von Schulen allzuoft gefälscht, und man beschäftigt sich dort damit, den Menschen das Zutrauen zum eigenen Denken und Entdecken zu nehmen.»
(1995, 1973) Der Wundertäter – Zweiter Teil. Berlin, Aufbau. S. 373, 374
«’Erziehen ist wiederholen und wiederholen’, hatte Lehrer Gerber behauptet, der den Unterschied zwischen Erziehen und Dressieren nicht kannte.»
Aber da gibt es ja noch andere, die gleichfalls den Elan und das Zutrauen der Kinder (ab)brechen und ihre eigene Vormacht behaupten wollen:
«Er war beschwingt, wie wirs alle sind, wenn wir eine Arbeit zur eigenen Zufriedenheit hinter uns brachten und bevor sich Zeitgenossen auf sie stürzen, um zu erklären, daß sie sie besser gemacht hätten.»
(1995, 1980) Der Wundertäter – Dritter Teil. Berlin, Aufbau. S.41, 387
Strittmatters Positionen zum Schreiben, zur Rechtschreibung und zum Leseunterricht sind genauso direkt:
«Die Rechtschreibung, jenes Fach zur Erhaltung des Selbstbewußtseins einiger Schulmeister, zeigt nicht nur heute, sondern zeigte auch zur Zeit meiner Kindheit ein wanderdünenhaftes Verhalten. (…) Phantasielosigkeit und Nachahmungstrieb sind amtlich sanktionierte Seuchen. (…) Lesen erfreut, Durchnehmen verekelt. Durchnehmen ist – eine Geschichte zerhacken, bis sie aus vielen Wunden blutet; Durchnehmen heißt: Zu morgen lesen: Schimmelreiter, Seite eins bis zehn! Am nächsten Tag: Schimmelreiter lesen, Seite zehn bis zwanzig! Und zwischendrein heißt es: Erzähl, was du gelesen hast.»
(1983) Der Laden – Erster Teil. Berlin, Aufbau. S. 32, 187, 517
«Tante Hertchen liest nur ra, ra, ra, beharrt Jarne, bei mir aber habe Schneewittchen eine Schnee-Stimme und der Jäger eine Schnaps-Stimme. Das ist es, was es ist, und ich soll lesen.» (1992) Der Laden – Dritter Teil. Berlin, Aufbau. S. 91
«Wenn ein Werk gut werden soll, kann man nicht schreiben, was man schreiben soll, sondern, was man schreiben will, noch besser, was man schreiben muß.»
Wie ich den Roman „Tinko“ schrieb, 1954
«Ich will nur noch aufschreiben, was ich wirklich sehe, und ich will aufschreiben, was ich wirklich weiß, und ich will aufschreiben, was ich wirklich fühle. Das ist nicht leicht, aber ich hoffe, damit aufzuschreiben, was nur ich aufschreiben kann.»
Selbstermunterungen
(2002) Eine Biographie in Bildern. Berlin, Aufbau Verlag. S.102, 112
Und in einer Zeit, in der Ausländer- und Asylantenhatz wieder salonfähig wird, kommt der Alte nicht am folgenden Statement Strittmatters vorbei, welches vielleicht ein wenig zu seiner Ehrenrettung beitragen kann:
«Lekasch erkannte die Frau nicht, obwohl sie ein paar Stunden zuvor neben ihm gesessen hatte, und er kannte den Mann nicht, der wie ein Riese aus der Vorzeit neben dem Auto stand. ‚Wer seid ihr?’ fragte er und bedankte sich, und der lange Mann beugte sich zur Fensteröffnung und sagte: ‚Mitmenschen, zwee Mitmenschen sind wir.’»
(1995, 1980) Der Wundertäter – Dritter Teil. Berlin, Aufbau. S. 306
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