George Saunders zum 66. Geburtstag (2.12.1958)
George Saunders (2021) Bei Regen in einem Teich schwimmen – Von den russischen Meistern lesen, schreiben und leben lernen. München, Luchterhand.
In diesem Buch verbindet George Saunders Lesen, Schreiben und Leben auf der Basis der hier schon mehrfach angesprochenen Prozesse der innigen Anschauung, des konzentrierten Betrachtens, des täglichen Notierens als Ursprung einer ersten Fassung eines Textes:
«Wen juckt es, ob die erste Fassung gut ist? Sie muss nicht gut sein, sie muss nur da sein, damit Sie sie überarbeiten können. Sie brauchen keine Idee, um eine Erzählung anzufangen. Sie brauchen nur einen Satz. Woher kommt dieser eine Satz? Egal. Er muss gar nichts Besonderes sein. Er wird mit der Zeit zu etwas Besonderem werden, während sie immer wieder darauf reagieren. Auf diesen Satz reagieren und ihn verändern, in der Hoffnung, ihm einen Teil seiner Gewöhnlichkeit oder Trägheit zu nehmen … das ist Schreiben. Mehr muss Schreiben nicht sein. Wir werden unsere Stimme, unser Ethos finden und uns von allen anderen Autorinnen auf der Welt unterscheiden, ohne dass wir irgendwelchen großen, umfassenden Entscheidungen treffen müssen, nur durch Tausende kleiner Entscheidungen, die wir beim Überarbeiten treffen.
(…) Mit anderen Worten, hätten wir etwas geplant, wäre es geringer geworden.» (S. 153, 154)
Saunders betont den Wert der spezifischen und präzisen Beschreibung des Alltäglichen
«Wir hören es gern, wenn unsere Welt beschrieben wird. Und wir hören es gern, wenn das spezifisch passiert. („Zwei Männer in grünen Pullovern spielten Fangen bei einem Autowrack“ ist besser als: „Ich fuhr durch eine irgendwie nichtssagende Gegend, mir fiel nichts weiter auf.“) Eine spezifische Beschreibung erhöht für uns, wie eine Theaterrequisite, die Glaubwürdigkeit von etwas komplett Erfundenem.» (S. 42) Auf diese Art und Weise erhöhen wir die Qualität unserer Texte, indem wir das «(…) Schrottige (…) vermeiden (…).» (S. 52)
Unsere Texte bedürfen unserer einzigartigen, besonderen Stimme: «Wer von uns jemals an einem wunderschönen Sommermorgen aus dem Haus gegangen ist, weiß, das Wahrhaftige dieses Augenblicks ist mehr als nur „An einem Morgen im Juni ging ich aus dem Haus“. In diesem Satz fehlt etwas, nämlich das „Ich“, das aus dem Haus geht. (…) Mit anderen Worten, die Stimme ist nicht nur eine Verzierung; sie ist ein wesentlicher Bestandteil der Wahrhaftigkeit. (…) wenn die Geschichte so erzählt wird, weist die Erzählung eine zusätzliche Dimension von Wahrhaftigkeit und Freude auf.» (S. 407)
Unsere Stimme konstituiert somit unser Wesen:
«Ein Mensch lässt sich nicht von seiner Sprache trennen. (Wenn Sie meine Wahrheit hören wollen, dann werde ich sie Ihnen in meinen Worten erzählen, in der Diktion und Syntax, die mir entsprechen.)» (S. 476)
Saunders verweist auf den Wert der künstlerischen Gestaltung wie wir ihr in diesem Blog immer wieder begegnen. Die ästhetische Gestaltung ist für ihn eine besondere, gar überlegene Art des Wissens: « Das ‚Wissen‘ in solchen Augenblicken ist, obwohl es ohne Sprache stattfindet, nicht weniger real. Und dafür ist meiner Meinung nach die Kunst da: uns daran zu erinnern, dass diese andere Art des Wissens nicht nur real ist, sondern unserer üblichen (konzeptionellen, verdichtenden) Art überlegen.» (S. 151)
Der deutsche Soziologe Norbert Elias hat in einem Fernsehgespräch mit Iring Fetscher, welches der Alte vor vierzig Jahren zu sehr später Stunde im Fernsehen sah, gesagt, dass der Mensch sich nur sehr selten bewusst ist und wird, dass alle seine Pläne und sein planbares Leben in einem wirren Netz von Unplanbarem vonstatten gehen.
Die Schule und ihre Curricula strotzen von Plänen und planvollen Abläufen.
George Saunders ist skeptisch:
«Ein Plan ist fein. Mit einem Plan können wir aufhören zu denken. Wir brauchen ihn nur auszuführen. Aber so funktioniert ein Gespräch nicht, und ein Kunstwerk ebenso wenig. (…) Laut Donald Barthelme gilt: „Der Autor ist einer, der mit seiner Aufgabe anfängt, ohne zu wissen wie.“» (S. 213)
Kinder und Erwachsene als Autoren ihres Lernens jedoch sollten ihren «(…) ganzen künstlerischen Weg als den Prozess verstehen, uns selbst davon (…) überzeugen, dass wir absolut genug zu bieten haben, als Nächstes herausfinden, was das ist, und es dann verfeinern.» (S. 214)
George Saunders befürwortet Skepsis und Argwohn gekoppelt mit Neugier auf der Basis konstanter Infragestellung der uns in den Medien präsentierten Informationen und verweist dabei auf die Werke Anton Tschechows:
« Falls er ein Programm hat, dann seinen Argwohn gegenüber jeglichem Programm. (…) Doch genau dafür schätzen wir ihn heute. In einer Welt voller Menschen, die alles zu wissen scheinen, voller Leidenschaft, auch auf der Basis von wenig (und oft schiefer) Information, in einer Welt, wo Gewissheit oft mit Macht verwechselt wird … ist ein Mensch, der selbstsicher genug ist, um Ungewissheit zugeben zu können (also ein Mensch, der neugierig bleibt), da nicht eine große Erleichterung?» (S. 444, 445)
Die Beiträge in diesem Blog zeigen eindringlich die performative Ader, die radikalen Vorlieben, also den Stil der Kinder und der Lehrpersönlichkeiten. Die Posts enthalten sozusagen die DNA der Geschichte und der Chronik dieser partikularen Schule
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