Hermann Lenz zum Todestag (26.2.1913 – 12.5.1998)
Der Alte hat Hermann Lenz immer wieder verpasst und plötzlich entdeckt, so wie ihm das schon mit Wilhelm Genazino geschehen war. Eigentlich kein Wunder bei einem Autor, der es erst im Alter von 60 Jahren zu einem gewissen Erfolg brachte.
Dann hat der Alte sich in der etwas kargen und spröden Erinnerungsprosa von Hermann Lenz festgelesen.
Der Alte fand dabei diesen interessanten Eintrag aus den Kriegserfahrungen von Hermann Lenz in Luxemburg:
«Einmal schrieb er aus Luxemburg, er habe sich mit dem Besitzer einer Buchhandlung und dessen Frau offen unterhalten können, ungezwungen sozusagen (da hat er also auf den Hitler g’schimpft). (…) Hinter der Luxemburger Grenze war ihm jedes Haus sauberer erschienen und das Gras frischer; alles hatte appetitlicher geschmeckt. Eine Zigarette mit schwarzem Tabak zum Beispiel hieß ‘Africaine’ und schmeckte freilich rußig oder wie Kaffeesatz; aber etwas Besonderes war sie halt doch. (…)
Das ist vielleicht das Bedrückendste am Krieg, abgesehen von den niederen Lebensbedingungen, an die man sich zur Not gewöhnen kann. Alles ist Schwindel wie ich jetzt sehe, das ganze Getu der ‘Dichter’ der Kriegskameradschaft, das Geschwätz der ‘Idealisten’, die den Krieg als große Zeit gepriesen haben. (…) Wie schlecht, wie angefault, wie völlig ohne edlen Sinn ist diese Zeit, deren ‘Ideale’ bloß niedrigen Schlächtergehirnen entsprungen sind. Was sehe ich hier? Bloß uniformierte Oberinspektoren, im tiefsten feige, voll Freude, endlich einmal obenauf zu sein u. eine Rolle spielen zu dürfen; bloß schweinische Peiniger und dumpfes Herdenvieh über dem die Peitsche saust, das aber nichts andres verdient als diese Peitsche. Wo gibt’s in dieser Zeit wirkliche Größe? Nirgends. Ich bin zu spät auf die Welt gekommen.»
(2013) Neue Zeit. Insel Verlag. S. 115, 122, 415
Wahrlich denkwürdige Worte in unserer Zeit.
Auf die Frage ´Was hat es für Sie bedeutet, Soldat zu sein, Frontsoldat in Rußland?´antwortet Hermann Lenz:
“Dieses Schicksal habe ich mit Millionen anderen geteilt. Da gab es keine Überlegung. Ich mußte das tun, was von mir verlangt wurde. Es gab nur die Möglichkeit, dies zu akzeptieren. Ich habe den ganzen Krieg für einen Unsinn gehalten, es war eine Privatsache eines Mannes namens Adolf Hitler, der faszinierend auf die Menschen gewirkt hat. Mich hat er nicht fasziniert. Das ist eine magische Wirkung, die nicht erklärbar ist. Warum laufen die Menschen dem einen nach, der sie in den Tod zwingt? Das ist mir ein Rätsel.”
IN Herlinde Koelbl (1998) Im Schreiben zu Haus – Wie Schriftsteller zu Werke gehen. München, Knesebeck. S. 50
Über sein Schreiben sagt Hermann Lenz:
“Ich habe viel über mich erzählt. Meine autobiographischen Romane gehen alle von Erfahrungen aus, die ich selbst gemacht habe. Die versuche ich darzustellen, und möglichst auch deren Hintergründe. Dabei ist Erinnerung meine größte Inspirationsquelle. Aber ganz verrät sich kein Mensch. Weil er selbst nicht weiß, wie es mit ihm steht. (…) Aber ich möchte das, was ich erfahren habe und wie ich bin, im großen Zusammenhang aller Menschen sehen.” (S.50)
Dieses Anschauen, Dingfestmachen und Benennen der Erinnerungen gelingt Hermann Lenz so trefflich, weil er noch mit der Stahlfeder schreibt. Dazu bemerkt er:
“Beim Schreiben mit der Feder bin ich gezwungen, etwas genau darzustellen und zu beschreiben – da bin ich gezwungen, eien Pause zu machen, einzutunken, mir wieder etwas zu überlegen, dann weiterzuschreiben. (…) Hauptsache, die Einfälle sind da, das ist das wichtigste.” (S. 53)
Der Alte resümiert:
Schreiben kann man also nicht – wie es die Schule immer vorgaukelt – im Kurzschlussverfahren erlernen, es bedarf der Muße, des Einhaltens, der Stille, der Zufälle, des sanften Eintauchens in Einfälle und des Wiederaufnehmens des Schreibprozesses.
Dazu bedürfen wir auch der Kollektivität und der Verbundenheit mit anderen Menschen, denn:
“Erst in der Verbindung mit dem anderen Menschen, der Auseinandersetzung mit ihm, wird ein Mensch sich seiner bewußt. So erscheint es mir seit langem.”
Dies ruft uns Hermann Lenz zu.
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