Herta Müller zum 72. Geburtstag (17.8.1953)
Die rumänische Nobelpreisträgerin Herta Müller feiert ihren 72. Geburtstag.
Dem Alten haben es neben ihren Romanen besonders ihre Collagen angetan, die spielerisch leicht in jeder Klasse nachgeahmt werden können, und dies in allen Unterrichtszyklen.
Hektor Haarkötter hat in seinem Buch von 2021 Notizzettel – Denken und Schreiben im 21. Jahrhundert. S. Fischer Verlag. Herta Müllers Vorgehnsweise wie folgt beschrieben:
«Herta Müller hat Wortcollagen hergestellt und dazu mit Karteikarten gearbeitet. Müller (…) hat immer eine kleine Handschere bei sich und schneidet aus Illustrierten und Magazinen auffällige Wörter aus. Diese Wörter hat sie zuerst auf einem Hackbrett in der Küche, später auf einem eigens ihnen gewidmeten ‘Wörtertisch’ gesammelt. Als die Zahl der miniaturisierten Wörterzettel in die Tausende ging, hat Müller ein ‘Wörterschränkchen’ eingerichtet, in dem ihre Funde nun alphabetisch und nach Wortarten sortiert gelagert werden.» (S. 396)
Und weiter ebenda:
«Ursprünglich verwendete Müller (…) diesen Fundus nur, um Freunden Karten mit zusammengeklebten Wörtern zu schicken, die ungefähr wie Erpresserbriefe in Agententhrillern aussehen. Inzwischen ist sie dazu übergegangen, das Wörtermaterial aus dem Zettelkasten zu Klebegedichten zusammenzustellen, die auch als ‘Gedichtbilder’, ‘Prosagedichte’ oder ‘Kürzestgeschichten’ bezeichnet werden. Solche gefundenen Wörter zu verarbeiten sei der intensivste Kontakt mit Sprache, weil es haptisch sei, denn man müsse jedes Wort einzeln anfassen.»
Aus solchen Schnipseln lassen sich endlos Texte und Gedichte generieren:
Herta Müller schreibt zu ihrer Vorgehensweise und zu dem mit ihrer Arbeit einhergehenden Staunen über die ihr so zufallenden Texte:
«Spielereien. Aber die haben mir gezeigt, was einzelne Wörter hergeben. (…) Ist es nicht seltsam, wie viele Wörter sich unauffällig in anderen Wörtern verstecken? Wenn ich das ‘t’ am Ende abschneide, wird aus der Landschaft ein Landschaf, aus der Schirmherrschaft ein Schirmherrschaf. Das Wort Jahrhunderte schneide ich immer als Reserve aus, weil Hunde mit kleinem Anfangsbuchstaben drin sind. Die kleingeschriebenen Hunde brauche ich oft, daraus kann ich dann einen zusammengesetzten Hund machen, Sommerhunde oder Heimwehhunde. Und in Herzkrankheit ist ein fertiger Herzkran drin. All das merkt man sich beim Ausschneiden, die Wörter werden mit der Zeit Konstruktionen, aus denen man Teile herauslösen kann. (…) Die Notfälle, die Zufälle, die Glücksfälle sind mit den ausgeschnittenen Wörtern ganz anders als beim gewöhnlichen Schreiben. Sie bringen mich auch nach über zwanzig Jahren noch zum Staunen. (…) Das Aussehen, die unterschiedliche Größe, die Farbe, die Schrift sind für die Collage genauso wichtig wie die Bedeutung des Wortes.»
Also eine klare Referenz zu den ästhetischen Gestaltungen der Kinder auf sketchblog.lu.
Über die Umwege des ästhetischen Aufnehmens und Schaffens werden originelle, sinnvolle und bedeutungsreiche Wörter und Texte geschaffen:
«Nein, ich glaub, die Umwege sind die richtigen Wege. Ich muss doch, um einen Satz zu schreiben, aus den sprachlichen Gewohnheiten der Wörter ausscheren, die Wörter finden sich aus Takt und Klang, und sie werden auf unerwartete Weise genau und sagen, was ich nicht wusste, dass ich es weiß, zum ersten Mal. Die wirklichen Tatsachen werden nicht außer Kraft gesetzt, sondern verdeutlicht. (…) das Glitzern im Satz (…).»
2016, Mein Vaterland war ein Apfelkern. Frankfurt am Main, Fischer. S. 222, 223, 224, 225, 226
Eine didaktische Lehrstunde zum Lesen- und Schreibenlernen weit ab den amtlich gebotenen Lehrmaterialien findet man hier:
Na denn mal los! An die Scheren! Die Lehrerinnen können den Kindern und Familien mit gutem Beispiel vorangehen!
Der Alte dankt Herta Müller für ihre Anregungen.
0 Kommentare