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Lev S. Vygotsky zum 128. Geburtstag (17.11.1896 – 11.6.1934)

von Taccuino Del Vecchio | 17/11/2024 | Die Notizen des Alten | 0 Kommentare

Bekanntschaft mit Lew Semjonowitsch Wygotskis Buch ´Thought and Language´ machte der Alte 1988 am Londoner Institute of Education in einem Seminar der von ihm sehr verehrten Margaret Meek, deren Großvater noch persönlich mit Robert Louis Stevenson gesprochen haben soll.
´Schwere Kost´ könnte man mit den Klitschko-Brüdern stöhnen.

Das etwas schwer zu lesende Buch schlug den Alten sogleich in den Bann. Was gefiel ihm eigentlich an diesem ziemlich alten Text?

Nun, zuallererst einmal die Tatsache, daß ein Psychologe die Lehrerrolle und die Lehrerpersönlichkeit als die ausschlaggebende Faktoren im allgemeinen und besonders im sprachlichen Lernprozess der Kinder würdigt.
Die Lehrperson ist die eigentliche Triebfeder und der eigentliche Propeller, welche unaufhörlich den Lernprozess der Kinder (und anderer Beteiligten) antreibt.

Welch eine Verantwortung!
Zugleich aber, welche Wertschätzung meines Berufes!

Im Gegensatz zu den Erfahrungen des Alten mit Psychologen, welche eindrucksvolle Diagnostiken von Lernschwierigkeiten seitens der Kinder erstellten, aber sehr selten vernünftige Ratschläge für den Umgang mit denselben im Klassensaal erteilen konnten, besticht Wygotski durch seine nach vorn gerichtete dynamische, also eher prognostische Zuversicht und Intervention. Schlummernde Potentiale müssen aufgedeckt und weitergetrieben werden, dies in Zusammenarbeit und Interaktion mit anderen Kindern und Erziehungsberechtigten. Courtney B. Cazden begründet diese zusammen gestalteten und entwickelten Potentiale mit der Priorität von Performanz und Produktion in der Ausbildung von Kompetenzen: «(…) the assisted performance is not just performance without competence, but performance before competence – (…) the assisted performance does indeed contribute to subsequent development.» (1997) Performance before Competence: Assistance to Child Discourse in the Zone of Proximal Development. IN COLE, M., ENGESTRÖM, Y. & VASQUEZ, O. (Eds.) Mind, Culture, and Activity: Seminal Papers from the Laboratory of Comparative Human Cognition. Cambridge, Cambridge University Press. (p. 309)

Der zweite Punkt, der den Alten in die Arme Wygotskis getrieben hat, besteht in seinem steten Rückgriff auf Poesie und ästhetische Gestaltungsprozesse in der Analyse von Sprachentwicklungsprozessen. Mehrfach bezieht er sich in seinen Schriften auf die Poesie von Ossip Mandelstam: “It is a whisper before it meets the lips.” Auf Deutsch trifft es vielleicht nicht so genau: “Vielleicht geboren ist das Flüstern vor den Lippen.” (1987, Hufeisenfinder, S. 121, Leipzig: Reclam)

 

Der Alte interpretiert Mandelstams Satz so: Sprache entsteht zögerlich, zweifelnd, schwebend, flüsternd und dies in der Schule besonders im Bund mit Gleichgesinnten, mit deren Hilfe man sich in einer Art Chorgesang zur vollen Expressivität der sprachlichen Mittel aufschwingen kann.
Neugierig und staunend beschreiten die Kinder gemeinsam in ihren persönlichen Beobachtungen, Notizen und Skizzen diesen holprigen Weg, der zu dem vertrauten und präzisen Gebrauch von Sprachen und ästhetischen Gestaltungsprozessen hinführt.

Dies kann man an Hand der Dokumente und Projekte in diesem Blog erkennen.

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