Ludwig Wittgenstein zum Geburtstag (26.4.1889 – 29.4.1951)
Warum immer wieder diese Aussagen von Schrifastellern und Philosophen?
Können Sie uns nicht kurz und bündig verraten, wie wir interessante Sprachaktivitäten mit den Kindern durchführen können?
Das nächste Mal bitte etwas weniger philosophisch, dafür mehr didaktisch …
So lauten generell die offiziellen Feedbacks in Weiterbildungskursen, die der Alte über die Jahre fleißig gesammelt und – es sei zugegeben – immer wieder verworfen hat.
Der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein hat nun einmal sehr viel Fundamentales zum Wesen von Sprachen gesagt und angemahnt, von dem Lehrpersonen tagtäglich profitieren können/sollen/müssen, so wenigstens die Meinung des Alten.
Wittgenstein betont unsere Eigenverantwortlichkeit, wenn es um Lehren und Lernen von Sprachen geht:
”Ich möchte nicht mit meiner Schrift Andern das Denken ersparen. Sondern, wenn es möglich wäre, jemand zu eigenen Gedanken anregen.”
Sprachen können nur im Rahmen des alltäglichen Lebenskontextes gesprochen, geschrieben und gelernt werden, weil dieser bedeutungsvolle Kontext eben den emotionalen Referenzrahmen darstellt, in dem jeder Mensch die ihn umgebenden Sprachen aktiv benutzt:
«The common behaviour of mankind is the system of reference by means of which we interpret an unknown language.» § 206
(1953) Philosophical Investigations, Oxford, Blackwell. Und:
„Only in the stream of thought and life do words have meaning.”
(1967) Zettel, § 173, Oxford, Blackwell.
Unser Alltag ist jedoch mehr als wir es zuweilen wünschen durch Unschärfen, Unbestimmtes und Zweifelhaftes geprägt, auf deren Basis wir trotzdem unsere so sicher gewähnten Erkenntnisse stets überprüfen können/müssen/sollen:
„Ist das unscharfe nicht oft gerade das, was wir brauchen (Wittgenstein, 2012, 268)?”
Daraus folgt für Wittgenstein:
„Das Schwerste ist hier, die Unbestimmtheit richtig und unverfälscht zum Ausdruck zu bringen.” 1. Januar 1949
IN Michael Nedo, 2012, Ludwig Wittgenstein – Ein biographisches Album, S. 231, München: C. H. Beck
Während 6 Jahren (1920-1926) hatte Wittgenstein sich auf das Land als Volksschullehrer zurückgezogen, eine Flucht aus einer Lebenkrise, die ihm nicht gelingen sollte.
Dennoch hatte er präzise Vorstellungen vom Lehrerberuf und seinen pädagogischen Komponenten, wie etwa die bereits erwähnte Eigenverantwortung der Lernenden. Folglich erstellte er ein Wörterbuch für seine Schüler, denn:
«Nur das Wörterbuch macht es möglich, den Schüler für die Rechtschreibung seiner Arbeit voll verantwortlich zu machen, denn es gibt ihm ein sicheres Mittel seine Fehler zu finden und zu verbessern, wenn er nur will. Es ist aber unbedingt nötig, dass der Schüler seinen Aufsatz selbständig verbessert. Er soll sich als alleiniger Verfasser seiner Arbeit fühlen und auch allein für sie verantwortlich sein.»
(1977) Wörterbuch für Volksschulen, S. XXV, Hölder-Pichler-Tempsky
Wolfram Eilenberger hat dieses Wörterbuch als Verzeichnis lebensweltlich zentraler Wörter folgendermaßen chrakterisiert:
“Der Wittgenstein-Test taugt bis heute: Nenne mir deine 3000 lebensweltlich zentralen Wörter, und ich sage dir, wer du bist. Das Projekt „Wörterbuch“ steht denn auch in Inhalt wie Ausführung beispielhaft für Wittgensteins gesamten pädagogischen Ansatz.“
Eilenberger beschreibt Wittgensteins pädagogischen Ansätze und Zielsetzungen:
“Mag er auch als Sonderling gelten, als Pädagoge auf dem Lande hat Wittgenstein klare
Vorstellungen und Erziehungsideale: Erkennen, wer man ist. Erkunden, was man will. Erfahren, was man vermag. Offenen Unsinn und logische Fehler nach Möglichkeit vermeiden. Was sich sagen lässt, lässt sich klar sagen. Praxis trumpft Theorie. Und wenn es hier auf Erden überhaupt etwas zu retten und zu heilen gilt, dann die eigene Seele, nicht aber die ganze Welt. (…)
Er verlangte (…) nach einem höchst subjektiven Gefühl für den Raum und die eigene, unaufgebbare Positionierung, in der man sich schöpferisch in ihm finden und begreifen wollte.“ (S. 288, 289, 309)
(2018) Zeit der Zauberer – Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919 – 1929. Stuttgart, Klett-Cotta.
So tasten wir uns getreu Freinets ´tâtonnement expérimental´ durch unser eigen verantwortetes Sprechen, Schreiben und Projektieren probeweise an die präzise Sprache heran:
“In seinen Kriegstagebüchern notiert er: ‚Im Satz wird eine Welt probeweise zusammengestellt. (Wie wenn im Pariser Gerichtssaal ein Automobilunglück mit Puppen etc. dargestellt wird.)‘ (29.09.1914). Die Sprache und vor allem das Schreiben erscheinen hier als Probehandeln.“ (S. 166)
Hektor Haarkötter (2021) Notizzettel – Denken und Schreiben im 21. Jahrhundert. Frankfurt am Main, S. Fischer.
Für diese Probehandeln hat Wittgenstein den Terminus Sprachspiel geschmiedet. So heißt es weiter bei Haarkötter:
“(…) Sprachspiel (…). Das Konzept hängt mit Wittgensteins neuem Gedanken zusammen, dass nicht die Bedeutung der Wörter ihren Gebrauch festlegt, sondern im Gegenteil der Gebrauch der Wörter ihre Bedeutung definiert: ‚Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache‘ (PU 43). (…) Wenn wir miteinander sprechen, werfen wir uns Wörter zu, so wie wir uns im Spiel Bälle zuwerfen. (…) Sprache als Spiel ist ein soziales Phänomen. (…) In den Philosophischen Untersuchungen erscheint (…) die Art und Weise, wie Kinder spielerisch und eben auch unterhaltsam ihre Mutter-sprache lernen, (…) als Sprachspiel: ‚Ich werde auch das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist, das „Sprachspiel“ nennen (PU 7).“ (S. 157, 159)
Sprachspiele setzen das kollektive Handeln, die Interaktion und die Kommunikation durch verantwortliche PartnerInnen voraus. Der saarländisch Schriftsteller Ludwig Harig hebt diese Tätigkeiten hervor:
“Benennen der Dinge und Nachsprechen der die Dinge benennenden Wörter ist für Wittgenstein das Sprachspiel, also etwas ganz Ursprüngliches und Einfaches, kein Erklären, sondern ein Mittun.“
IN Gerhard Sauder, 2012, Das frivole Spiel mit den Wörtern, in Ludwig Harig – Aus dem Leben eines Luftkutschers, S. 56, Marpingen-Alsweiler: Edition Schaumberg
Doch genug der (sprach)philosophischen Betrachtungen und frohen Mutes an die vage, verzettelte, wirre und unkohärente alltägliche Spracharbeit, die doch auch laut Wittgenstein ihre Ordnung hat.
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