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Meiner Lehrerin Margaret Meek zum 100. Geburtstag (14.1.2025 – 4.5.2020)

von Taccuino Del Vecchio | 14/01/2025 | Die Notizen des Alten | 0 Kommentare

Ja fast hätten wir Margarets 100. Geburtstag wirklich feiern können!
Fünf Jahre nur haben der zähen Schottin dazu gefehlt. Ihr Großvater habe noch persönlich mit Robert Louis Stevenson gesprochen, so erzählte sie einmal mit verschmitzten Augen.
Der Alte verdankt Margaret Meek unheimlich viel, dabei haben wir uns nur knapp 6 Monate in einem Seminar am Institute of Education in London am Russel Square wöchentlich einmal begegnet, wenn sie nicht gerade wieder auf Vortragsreisen durch die Vereinigten Staaten reiste. (Dann wurde sie von der ebenso tollen Josie Levine vertreten.)
Genauso wie auf diesem Bild hat der Alte sie in Erinnerung.
Immer wachsam, aufgeschlossen, kritisch, aber auch sorgsam, immer am Austausch und Dialog interessiert, und natürlich ´tongue in cheek´einen gewissen ´sense of humour´.
Der Alte hatte nur ein Jahr Zeit, um an der Universität London ein vom British Council gesponsortes Associateship zu absolvieren, das sich um den Einsatz von Informationstechnologien in der Grundschule drehen sollte. Nun musste der Alte leider feststellen, dass er damals bereits in seiner Dorfschule in die Praxis umgesetzt hatte (Logo, Textverarbeitung), was ihm am Institute als pädagogische Neuigkeit präsentiert werden sollte. Was tun? Die Zeit an der Uni war doch ein kostbares Geschenk für ihn, eine wahrscheinlich nie wiederkehrende Möglichkeit, seinen Wissenshorizont zu erweitern.
Auf zum Tutor, um ihm meine Sorgen zu klagen und meine Bedürfnisse anzumelden. Dieser, nicht faul, legt mir ein Telefonbuch vor die Nase: das Inhaltsverzeichnis sämtlicher am Institute angebotenen Seminare. Was interessiert dich denn? Nach einer Stunde etwa hatte ich etwas gefunden, was meiner Praxis und meinen pädagigischen Bedürfnissen entsprach: On being literate – Dozentin: Margaret Meek Spencer.
Geh doch hin und frag, ob sie dich reinlässt, so der Rat des Tutors.

Natürlich wurde ich mit offenen Armen empfangen: Ah, jemand vom Kontinent, na gut, da kannst du ja den anderen Teilnehmern etwas über Grammatik beibringen, die haben davon noch nie etwas gehört! Schreibatelier hast du gesagt, dann erzähl uns mal was über Freinet. Gesagt, getan.
Durch dieses Seminar kam der Alte zuerst in Berührung mit den Schriften Wygotskis und Lurias. Letzterer hatte in den frühen 60ern selbst einmal das Institute besucht und Aufschluss über den Soziokonstruktivismus gegeben.´Thought and Language´wurde ganz gelesen, auseinandergepflückt und halbwegs verstanden. Manche kamen nicht über Kapitel 1 der wöchentlichen Pflichtlektüre hinaus. Macht nichts, so Margaret, dann erzähl mir was über Kapitel 1 und die Überschrfit.
Immer wieder Grundsätzliches über Sprache und ihre Bedeutung für jegliches menschliche Lernen und die Umsetzung in der Schule: Wittgenstein, James Britton, Douglas Barnes, Conny & Harold Rosen. Kenneth Goodman, … und am Ende der Verweis auf Bachtin: “Man müsste mehr Bachtin lesen!” Auch diese knappe Bemerkung fiel beim Alten auf fruchtbaren Boden.
Margarets Begeisterung für Literatur (nicht nur Kinderliteratur) war ansteckend. Lesen- und Schreibenlernen sollten im Kontakt mit echter Literatur stattfinden und nicht im langweiligen Trott mit Fibeln und deren primitiven Texten, denn, so Margaret: “Eine Fibel ist ein Buch, das von Niemandem für Niemanden geschrieben ist.”
Lesen- und Schreibenlehren müssen in enger Verbindung zu den Erfahrungen der Kinder mit (guter) (Kinder)literatur stehen. Die Menschen leben mehr in Fiktionen als in der faktuellen Welt, so steht es in dem von ihr mitherausgegebenen Buch The Cool Web (1977), womit die Sprachen gemeint ist, welche es uns und den Kindern erlaubt, die Wirklichkeit präzise, kühl und reflektierend zu erfassen, anzuschauen und zu verändern. R. L. Gregory behauptet in diesem Buch: «(…) fiction is a tool, necessary for thought and intelligence, and for considering and planning possibilities. Fiction is vitally important – indeed we may live more by fiction than by fact. It is living by fiction which makes the higher organisms special.» (p. 394)

Daher auch Margarets Aversion gegen jede Sorte von mechanistischem Training. Insbesondere den Begriff ´teacher training´lehnte sie radikal ab, weil er die Persönlichkeit der einzelnen Lehrperson negiert und meistens auf Vermittlung von Rezepten und Prozeduren basiert.

Qualitativ hochwertige Kinderliteratur spielt in Margarets Büchern eine herausragende Rolle. Dabei war sie stets neugierig und aufmerksam für neuartige Textsorten. So flocht sie den gerade aufkommenden Rapgesang als neue Gedichtform wie selbstverständlich als jugendliche Ausdrucksform in ein Seminar ein. In On Being Literate (1971) schreibt sie: «Stories (…) create our first memories. (…) From the stories we hear as children we inherit the ways we talk about how we feel, the values which we hold to be important, and what we regard as the truth.» (pp. 105, 103) und «(…) literacy itself (…) has to be redescribed, at least as literacies, to match the new, emergent contexts and kinds of literate behaviours that are prevalent in modern societies.» (p. 203)

Learning to Read (1982) und Language and Literacy (1988) sind ihre weiteren wichtigen Bücher.

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