Seite wählen

Peter Bichsel (24.3.1935 – 15.3.2025)

von Taccuino Del Vecchio | 24/03/2025 | Die Notizen des Alten | 0 Kommentare

Und zum Zweiten: “Eine völlig festgelegte Sprache interessiert mich nicht.”

Deer Alte schätzt Peter Bichsels radikale Ansichten zu Lehrplänen, Lehrverordnungen und Lehrberuf, die so nur von einem passionierten Lehrer stammen können.

So schreibt Bichsel über Lesen, Leseförderung und das bei Testleuten überaus beliebte Leseverständnis:
«Leseförderung geht davon aus, dass Kinder lesen, wenn sie den Text verstehen. Ich bin überzeugt, dass das ein Irrtum ist: Kinder lesen, weil sie nicht verstehen. Alle wirklichen Leser sind buchstabensüchtige Menschen.» (S. 16)
(2018) Was wäre, wenn? – Ein Gespräch mit Sieglinde Geisel. Zürich, Kampa Verlag.

Lehrpersonen haben also die Kinder buchstaben-, satz- und büchersüchtig zu machen.

Deshalb die Folgerung:
«Man müsste Lesebücher verbieten. (…) Heute ist das Lesebuch nur noch eine Hilfe für faule Lehrer.» (S. 44)
Gefragt ist das persönliche Leseengagement der Lehrpersonen, die Mitteilung deren Präferenzen und die Infizierung der SchülerInnen mit literarischer Kultur.

Eine solche literarische Lesekultur braucht Mitmenschen, also Zuhörer und Diskutirende, welche den Lesehorizont erweitern. Peter Bichsel bemerkt dazu:
« Lesen ist eine Form des Zuhörens. (…) Wenn man Tolstoi liest, muss man dem Leo geduldig zuhören. (…) Natürlich sprechen wir im Grunde genommen miteinander, ich antworte ihm lesend. Man könnte auch sagen: Wer zuhört, bleibt im Gespräch – das gefällt mir besser.
(…) Und so kann ich auch die Frage, welches Buch ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde, leicht beantworten: nämlich keins. Nach wenigen Wochen wäre es auf dieser Insel mit dem Schreiben und Lesen vorbei. Ohne Leser oder Mitleser hat beides keinen Sinn.» (S. 63, 64)
Im Anklang an diese Lebenskultur der literarischen Geselligkeit, wie Gundel Mattenklott dies treffend genannt hat, teilt Peter Bichsel dann noch kräftig aus und erteilt dem Erziehungsauftrag innerhalb unserer Gesellschaft eine geharnischte Absage, indem er eine Kultur des Zusammenlebens und Zusammenlernens einfordert:

«Ich finde es fürchterlich, wenn es Eltern gibt, die glauben, sie hätten ihre Kinder zu erziehen. Die muss man nicht erziehen, mit denen kann man doch zusammenleben! Mit seinen Kindern kann man es lustig haben, und man kann weinen und schreien und herumtollen. Erziehen ist ein sehr billiger Ersatz für keine Zeit haben.» (S. 114)

All dies erinnert den Alten sehr an folgende Sätze Erwin Strittmatters aus (1995, 1980) Der Wundertäter – Dritter Teil. Berlin, Aufbau.:
«’Erziehen ist wiederholen und wiederholen’, hatte Lehrer Gerber behauptet, der den Unterschied zwischen Erziehen und Dressieren nicht kannte.» (S. 41)
«Lekasch erkannte die Frau nicht, obwohl sie ein paar Stunden zuvor neben ihm gesessen hatte, und er kannte den Mann nicht, der wie ein Riese aus der Vorzeit neben dem Auto stand. ‚Wer seid ihr?’ fragte er und bedankte sich, und der lange Mann beugte sich zur Fensteröffnung und sagte: ‚Mitmenschen, zwee Mitmenschen sind wir.’» (S. 306)

Demnächst mehr von und zu Peter Bichsel.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert