Seite wählen

Peter Bichsel (24.3.1935 – 15.3.2025)

von Taccuino Del Vecchio | 25/03/2025 | Die Notizen des Alten | 0 Kommentare

Und zum Dritten: “Französisch ist mir ein Greuel.

Prisma by Dukas Presseagentur GmbH / Alamy Stock Photo

«Französisch ist mir ein Greuel, und ich reagiere auf die mir kaum verständlichen Töne dieser Sprache recht eigentlich traumatisch. Ich finde das selbst mehr als lächerlich. Ich finde es ungerecht und gefährlich, mitunter an der Grenze des Rassismus, nämlich dann, wenn ich meine Abneigung gegen diese Sprache auf den Sprechenden übertrage.»
Dies schreibt Peter Bichsel in
(1979) Erfahrungen beim Sprachenlernen. IN Peter Bichsel (1998) Schulmeistereien. Frankfurt am Main, Suhrkamp. S. 47

Den Alten erinnern Bichsels Worte an unzählige Reaktionen luxemburgischer Schülerinnen, StudentInnen und – ja auch – LehrerInnen, die in einschlägigen Kommentaren auf luxemburgischen Medienseiten im Netz ihren regelmäßigen Niederschlag finden. Traurig, aber wahr.

Bichsel führt weiter aus:
«Ich bin ein Opfer – ein Opfer des Französischunterrichts. (…) die Schule hat mir in diesem Fach etwas viel Schlimmeres angetan: sie hat mir diese Sprache für immer verbaut. Ich wage nicht mehr, mir in dieser Sprache Fehler zu leisten. Ich würde es psychisch nur schwer überstehen, mich in dieser Sprache auch nur noch ein einziges Mal zu blamieren.»

An solch eine Blamage kann sich der Alte bis heute genau erinnern, hatte er doch ´Gießen sie die Milch in den Kaffee´mit ´Arrose le lait dans le café´ übersetzt, was ihm eine lange Schmährede seines Französischprofessors eintrug. Dabei hatte der Alte nur die zuvor fleißig gelernte Vokabel im falschen Kontext eingesetzt.

Peter Bichsel bleibt unerbittlich:
«Ich empfinde als Bürger dieses Landes, als politisch Tätiger, als kulturell Interessierter mein Nicht-Französisch-Können als Invalidität. Die Schule hat mich zum Krüppel gemacht. (…) hätte ich keinen Französischunterricht in der Schule gehabt, ich hätte diese Sprache hemmungslos nachgeholt und könnte sie heute sprechen.»

Als Lehrer versteht Bichsel, was solche negativen Lernerfahrungen mit dem Lernkrüppel tun:
«Und plötzlich ist der Tunnel stockdunkel – eine panische Erinnerung an das Scheitern in der Schule. Was anfänglich so leicht war, taugt plötzlich gar nichts mehr. Man versteht kein Wort mehr und ist plötzlich wieder unfähig, auch nur einen Satz zu bilden. Die einfachsten Vokabeln für ‘Kommen’, ‘Gehen’ und ‘Haben’ sind weg. Und genau das war der Punkt, wo meinem Französischlehrer nichts anderes mehr einfiel oder nichts anderes mehr übrigblieb, als zur Umkehr zu raten – zurück und repetieren. ‘Nicht einmal das kannst du!’ ‘Du wirst den Anschluß für immer verpassen, wenn du jetzt nicht repetierst!’» (S. 50, 51)

Bitteres Fazit:
«Meine Französischlehrer haben mich stumm gemacht.» (S. 51)

Wie kam es dazu?
Peter Bichsel weiß die Antwort:
«Wir lernten sozusagen alle Schwierigkeiten der französischen Sprache – nicht Französisch, nur die Schwierigkeiten. Ich glaube, ich habe meinen Französischlehrer mit Recht im Verdacht, daß auch er nur die Schwierigkeiten konnte. Es ging nicht darum, etwas zu lernen, sondern es ging darum, etwas prüfbar zu machen. (…) Zurückgekehrt in die Schweiz als Französischlehrer (…) verfällt er dem weltweiten Lehrerirrtum, daß die Grammatik die Sprache an und für sich sei. (…) Eine amerikanische Bekannte, damals Germanistikstudentin, weigerte sich sehr lange, mit mir – oder besser gesagt: vor mir Deutsch zu sprechen. Als sie es endlich tat, wußte ich, weshalb sie sich so lange geweigert hatte. Sie sagte zum Beispiel fast akzent-, jedenfalls fehlerfrei: ‘Hättest du nichts dagegen, wenn wir etwas trinken gehen würden?’ Auf deutsch heißt das: ‘Wollen wir etwas trinken gehen?’ Ihr Satz, und das wußte sie offensichtlich zum voraus, ist eindeutig falsch: grammatikalisch richtig, sprachlich falsch. (…) Grammatik dient nicht mehr dazu, die Sprache zu erfassen, sondern die Sprache dient dazu, eine Grammatik zu erklären, die sich selbständig gemacht hat. Wer versucht, eine Sprache total – mit all ihren Ausnahmen – zu vermitteln, vermittelt sehr schnell totalen Blödsinn. (…) Auf diesem Umweg stimmt denn auch der Satz, daß die Schüler meist für den Lehrer lernen müssen und nicht für sich. (…) Man blamiert sich mit Fehlern viel weniger als mit geschraubter Grammatik. (…) die Fremdsprache mehr als Zwang und Disziplinierungsmittel einzusetzen, denn als ein Medium zur Befreiung des Menschen.» (S. 54, 55, 56, 57, 59)

Ähnlichkeiten mit luxemburgischen Schulen sind natürlich rein zufällig.

Der Alte bedauert sehr die zunehmende Bedeutung des Grammatikunterrichts bereits in der Grundschule, und dies nicht nur im Französischunterricht. Die ist bekannterweise der Prüfbarkeit in den ´épreuves standardisées´geschuldet, wie Bichsel es vor langer Zeit schon wusste.

Der Alte hatte sich in seiner Jugend durch seine Blamagen nicht ins Bockshorn jagen lassen und fleißig Stunde um Stunde Grammatik gebüffelt, bis es ihm gelang in der allerletzten Prüfung auf Septima als Zweitbester seiner Klasse zu performieren. Kommentar des Französischprofessors:
„Das muss wohl ein Irrtum sein!“

Demnächst mehr von Peter Bichsel.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert