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Peter Bichsel (24.3.1935 – 15.3.2025)

von Taccuino Del Vecchio | 26/03/2025 | Die Notizen des Alten | 0 Kommentare

“(…) we do not send children to school to learn to read and write, but to read and write better than their neighbors. This is what counts, in the most literal sense: this is what is counted; this is what is recorded in school files.” Ray McDermott
2005, In Praise of Negation, in Zeitschrift für Pädagogik, 51. Jahrgang 2005, 49. Beiheft, p. 166

Prisma by Dukas Presseagentur GmbH / Alamy Stock Photo

Peter Bichsel beschreibt in
(1981) Wissen ist Widerstand. IN Peter Bichsel (1998) Schulmeistereien. Frankfurt am Main, Suhrkamp. S. 12
den von Ray McDermott angeprangerten Zustand:
Die Eltern schicken die Kinder in die Schule «(…) für das Nötige, und das Nötige besteht nicht einmal aus eigentlichem Wissen, sondern es besteht nur darin, besser zu sein als die anderen. Die Eltern schicken ihre Kinder nicht in die Schule, sie schicken sie in die Selektion, und sie hoffen auf Sieg wie auf den Sechser im Lotto oder wie auf die Schweizer in der Tour de France. Daß ihre Kinder besser sein werden, das ist die eine Sache; wenn alle anderen schlechter sind, genügt das auch.»

Die Kinder lernen den Stoff, um denselben in Tests, Blitzprüfungen und ´épreuves standardisées´zu verdauen.
Peter Bichsel ist solches Lernen zuwider:
«(…) es geht nicht einfach darum, den Stoff zu lernen, sondern es geht darum, am Stoff zu lernen. (…) Ich erinnere mich noch sehr deutlich an meinen ersten Schultag. Ich erinnere mich, wie ich mich augenblicklich in meine Lehrerin verliebte: für mich die einzige Erklärung dafür, daß ich kein Schulversager wurde. (…) Aber man ließ mir in der Schule nicht einmal das Erlebnis des Lernens. Ich habe das Lernen, auf das ich mich so freute, nicht bemerkt, weil man glaubte, mich mit Spielchen, Klebförmchen, mit Äpfelchen und Birnchen zum Lernen verführen zu müssen.» (S. 14, 15)

Der Alte bemerkt auch beim Sprachenlernen in unseren Schulen immer wieder, wie man glaubt, die Kinder mit didaktischen Spielchen zum Sprachenlernen verführen zu müssen.
Sobald die Kinder in der Schule ihren Platz einnehmen, kaufen die Autoritäten ihnen ihren doch so unbändigen Lernwillen nicht länger ab. Die Dokumente auf sketchblog.lu, besonders die aus dem cycle 1, zeugen doch vom ungestümen Lernwillen und der Lernfähigkeit aller Kinder.

Peter Bichsel klagt an:
«(…) ich war beleidigt, daß man mir meine Lernwilligkeit nicht glaubte. (…) Es ist eine eigenartige Sache, daß die Schule immer wieder von der Lernunwilligkeit der Schüler ausgeht. (…) es sind nicht nur Lernwillige, es sind auch Lernfähige. Sie haben große Erfahrungen im Lernen, sie haben – nicht ohne große Anstrengungen – sitzen gelernt, stehen gelernt, laufen gelernt, reden gelernt. (…) Die ersten Stunden in der Volksschule beginnen mit Beleidigungen. Der Erstkläßler (…) wird mit kindischen Spielen zum Lernen verführt. Er wird von Anfang an wie einer behandelt, der nicht lernen will. Er wird vorerst zur Lern-Unwilligkeit verführt. Man nennt das Didaktik oder Methodik, und diese Methodik hat Methode.» (S. 15, 16)
Womit wir wieder am Anfang wären, nämlich bei der Dominanz von allgemein und nationenweit überprüfbaren Standards, welche jede Dynamik wahren Lernens aus dem Curriculum drängen.

Dazu Peter Bichsel:
«Würde die Schule nun die natürliche Lernfähigkeit übernehmen, dann ließen sich die Resultate nicht werten und prüfen. Die natürliche Lernfähigkeit ermöglicht keine Selektion. Gelerntes ist letztlich nicht prüfbar. Ohne Lernunwilligkeit keine Selektion. (…) Man lernt in der Schule, daß man sich durchzusetzen habe: durchzusetzen gegen wen? Gegen die andern: einmal als Nation, alle Schweizer gegen die faulen Ägypter, und dann auch selbstverständlich als einzelne, jeder gegen jeden. (…) der Schüler ist der einzige in unserem Staat, dem keine Höchstwochenstundenzahl garantiert wird. Seine Arbeitsbelastung ist unkontrollierbar. Er ist nicht einmal dem Heimarbeitergesetz unterstellt. (…) Er wird seine Freizeit unter dem Gewissensdruck der nicht oder mangelhaft geleisteten Arbeit verbringen.» (S. 16, 18)

Der Alte glaubt, dass Pädagogen sich zugunsten der Lernwilligen und Lernfähigen zur Wehr setzen müssen und nimmt dazu einen Entwurf einer Studentin des Lehramtes, welche sie an den Anfang ihrer ästhetisch-biografischen Arbeit gestellt hat:

Und noch einmal Peter Bichsel:
«Wissen ist Widerstand – ist Widerstand gegen die Macht. (…) Wer glaubt, er sei durch eine Mehrheit legitimiert, der ist ein Scheindemokrat. (…) Daß in der Demokratie mit Recht die Mehrheit entscheidet, führt zu der falschen Annahme, daß die Demokratie eine Sache der Mehrheit sei. Die Grundidee der Demokratie ist aber nicht die Mehrheit, es sind die vielen Minderheiten.» (S. 12, 13)

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