Raymond Federman zum Geburtstag (15.5.1928 – 6.10.2009)
Raymond Federman, der amerikanische Schriftsteller, wurde 1928 in Montrouge bei Paris geboren. Im Krieg wurde seine ganze Familie in Auschwitz ermordet. Federman emigrierte 1947 nach Amerika.
IN (2008) Pssst! – Geschichte einer Kindheit. Bonn, Weidle Verlag. S. 69
schreibt Raymond Federman über das kindliche, poetische Sprechen, Erzählen und Schreiben:
«Wenn Kinder eine Geschichte erzählen, sagen sie egal was egal wie. Sie bringen Poesie hervor, ohne es zu merken. Und genau so möchte ich meine Kindheit erzählen. In einer Art poetischer Unordnung. Schließlich war meine Kindheit nichts als reines Chaos, Zusammenhangslosigkeit und Verständnislosigkeit. Und Hunger.»
Er gibt auch auf S. 80 ein konkretes Beispiel dieser kindlichen poetischen Veranlagung:
«Ich war der Liebling meiner Mutter, und wenn ich etwas wollte, hat sie es immer hingekriegt, daß ich es bekam. Ich erinnere mich noch an diese Badehose. Sie war marineblau. Und ein kleiner roter Anker war darauf. Ich habe sie lange behalten, auch noch, als sie mir zu eng geworden war.»
Die kindliche Poetik beruht auf Anschauungen, Betrachtungen, Notizen, Skizzen und besonders auf Sammlungen im außerschulischen Bereich, also auf dem, was man mit Luis C. Moll als „Funds of Knowledge“ der Kinder bezeichnen kann.
Wieder gibt Raymond Federman ein anschauliches Beispiel:
«Ich sammelte vor allem die Briefmarken der afrikanischen Länder. Sie waren groß und schön. Ich hatte nicht viel Geld, um mir Briefmarken zu kaufen, deshalb hatte ich nur Briefmarken aus den Kolonien. Es gab eine aus Senegal, die mir besonders gefiel, weil sie dreieckig war. Meine Briefmarkensammlung ließ mich davon träumen, Forschungsreisender in Afrika zu werden. (…)
Unter meinem Sofa bewahrte ich auch meine Heftchen und meine Jules Vernes. Ach, meine Jules Vernes! Manchmal las ich nachts, wenn meine Eltern schliefen, mir einer kleinen Taschenlampe unter der Decke ein Buch von Jules Verne.» (S. 49, 50)
Wie sehr wir den Kindern Aufmerksamkeit, Achtung und Beachtung schuldig sind, fasst Raymond Federman so zusammen:
«Ein Leben ist, wie Jean-Paul Sartre irgendwo gesagt hat, eine zu allem Möglichen verwendete Kindheit, und ihm zufolge sind wir alle von den Existenzbedingungen unserer Kindheit geprägt. Oder, besser gesagt, wir sind gezeichnet von den Manipulationen, die wir als Kind erlitten haben.» (S. 37)
Profunde Erkennnisse eines arg gebeutelten Menschen, die wir ebenfalls beachten sollten, findet zumindest der Alte.
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