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Siri Hustvedt zum 70. Geburtstag (18.2.1955)

von Taccuino Del Vecchio | 18/02/2025 | Die Notizen des Alten | 0 Kommentare

Siri Hustvedt besticht den Alten durch ihre bodenständige Intelligenz. Da ist nichts Prätentiöses, akademisch Aufgeblasenes und doch brillieren ihre Gedanken in ihrer Eingängigkeit und Selbstverständlichkeit.

Zu den Einträgen der Kinder und Lehrpersonen in diesem Blog passen folgende Bemerkungen Hustvedts:

«Es wird immer irgendwo ein Durcheinander geben, und die Wahrheit ist, dass wir das Durcheinander brauchen, damit wir nicht nachlassen zu fragen, warum die Dinge so sind, wie sie sind, und wie sie anders sein könnten.
Kein einzelnes Klassifikationssystem mit strengen Grenzen, keine Enzyklopädie eines bestimmten Fachgebiets vermag die veränderlichen Grenzen dynamischer menschlicher Erfahrung zu fassen.»
(2023) Mütter, Väter und Täter. Hamburg, Rowohlt. (S. 126)

Gleichzeitig warnt Hustvedt vor Gefahren aus der Wissenschaft, wie sie oftmals auch aus Linguistik und Neurowissenschaften den eigentlichen sprachlichen Bedürfnissen der Kinder drohen:

«Wissenschaftler sind geradezu versessen auf absolute Grenzen und hermetisch versiegelte Räume, in denen keine Unreinheiten umherschwirren.» (S. 115)

Pädagogisch wertvoll als sinnvolle Stützen für jeglichen (Schrift)spracherwerb sind folgende Bekräftigungen Hustvedts:

«Tu nichts, was du nicht wirklich willst, heißt so viel wie: Ich vertraue dem, was du dir wünschst.» (S. 65) und «Wir erinnern das, was emotional wirksam war.» (S. 159)

Wollen und Wünschen der Kinder sind der Fürsorge der Lehrpersonen anvertraut. Sie müssen stets aufs Neue ermöglicht werden und dann auch stets ein Ohr finden, innerhalb und außerhalb des Klassenverbandes und innerhalb und außerhalb der Schule.
Deshalb auch dieser Blog.
Lehrpersonen können sich laut Hustvedt selbst belohnen und glücklich machen durch ihre Beteiligung an dem Gestalten einer zusammenhaltenden Gemeinschaft:
«’Sorge’, schreibt Tzvetan Todorov, ‘ist in sich selbst Belohnung, denn sie macht den Geber glücklich’.» (S. 422)

Folgender Satz Hustvedts hat den Alten tief im Mark getroffen, erinnerte er ihn doch an unselige Erfahrungen aus seinem Berufs- und Privatleben:

« Man muss nicht aus dem Zimmer gehen, um ein Kind zu verlassen.»
(2019) Being a Man. Hamburg, Rowohlt. (S. 47)

Siri Hustvedt hat sehr viel Substantielles dazu zu sagen. Wir sollten Kinder nicht verlassen, sondern ihrem Gefühl, Ausdruck, Zittern, Stammeln, Flüstern, Schluchzen, ihren ästhetischen Gestaltungen, Wörtern, Sätzen, Geschichten und Zukunftsprojekten Augenmerk und Gehör schenken, so wie es dieser Blog exemplarisch vorführt.
Wir Erwachsene verdrängen solche intensiven Gefühle und mauern uns vielmals ein in Schweigen und triviale Aktivitäten:
«Durch Erfahrung verlieren Erwachsene dieses intensive Gefühl des Unvertrauten – nicht zu Hause zu sein.» (S. 46)

Siri Hustvedt glaubt, wie der Alte, an die magische Kraft einzelner Worte und Sätze, welche schon in frühester Kindheit beginnt:

«Als Leserin von Büchern bin ich davon überzeugt, dass Wörter eine nahezu magische Kraft haben, nicht nur weitere Wörter zu erzeugen, sondern flüchtige Bilder, Gefühle und Erinnerungen.» (S. 41) Daraus entstehen dann Gehirntatoos:
«Manche Wörter, Ausdrücke, Sätze bleiben für immer im Gehirn haften wie Hirntatoos.» (S. 160)

Dieselben Wörter, Ausdrücke und Sätze werden Teil unseres Selbst und vermischen sich zu einer individuellen menschlichen Erzählung und Erinnerung. Eine solche Sichtweise steht den ´trockenen´ Texten gegenüber, welche in Fibeln, Lehrbüchern und Grammatiken ´spielerisch´ die Kinder in neue Sprachwelten locken sollen, die sie ja in unseren multilingualen und multikulturellen Klassen im Dialog und gegenseitiger Hilfestellung erfahren könnten:

«Jeder weiß, was ein trockener Text ist – einer, der Gefühle weglässt, der einen zu Tode langweilt, weil er zu nichts Menschlichem spricht, das Offensichtliche vernebelt oder einfach unverständlich ist.» (S. 124)

Siri Hustvedt stellt klar:
«Lernen bedarf der Auseinandersetzung. (…) Ich bin auf der Hut vor fixen politischen Vorschriften, auf der Hut vor Linientreue ohne Sinn für Ironie, Nuancen und Komplexität.»
(2019) Wenn Gefühle auf Worte treffen – Ein Gespräch mit Elisabeth Bronfen. Zürich, Kampa. (S.290, 291)

Mit Hustvedt könnte man getrost behaupten, dass die Nicht-Berücksichtigung der in diesem Blog vorgestellten ästhetischen Gestaltungen, der persönlichen Texte und Projekte der Kinder auf der Trennung zwischen Intellekt und Körper beruht, welche die Curricula unserer westlichen Schulen durchdrungen hat.

Der Alte will dazu noch einmal Siri Hustvedt bemühen, die uns auffordert, ästhetische Gestaltungen länger und intensiver zu betrachten:

«Betrachten ging für mich schon immer mit etwas Taktilem einher, was einen anderen Zugang zur Welt ermöglicht als das Lesen eines Textes. (…) Doch ist das Objekt einmal gemacht, ob Skulptur, Buch oder Film, wird es von demjenigen belebt, der es betrachtet, liest oder anschaut. (…) Wir entwickeln eine Anhänglichkeit an solche Werke, die einen emotionalen Abdruck in uns hinterlassen. (…) es transformativ sein kann, ein Werk, das mich anzieht oder sogar abstößt, lange und intensiv zu betrachten. (S. 126, 150, 151, 163)

Das sollten wir dann mal tun!

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