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Wilhelm Genazino über die ästhetische Lust

von Taccuino Del Vecchio | 13/12/2024 | Die Notizen des Alten | 0 Kommentare

Lange hat der Alte gezögert zwischen Aitmatow und Genazino für seinen Post vom 12.12., war dieser Tag doch auch der 6. Todestag von Wilhelm Genazino (22.1.1943 – 12.12. 2008). Na, dann kommt Genazino, den der Alte lange vesehentlich als italienischen Autor angesehen und noch viel längere Zeit überhaupt nicht beachtet hatte, eben erst im Januar dran.

Nein, er muss heute unbedingt ran, weil der Alte in Genazinos ´Aus der Ferne. Auf der Kippe´ (2012) München, Carl Hanser Verlag zufällig am 12.12. auf Seite 8 folgende berauschenden Worte gelesen hat:

“Unsere ästhetische Lust ist unserer Rationalität immer weit voraus.”

Trifft dies nicht in überzeugender Weise auf die ästhetischen Produktionen und Transformationen der Kinder auf sketchblog.lu zu?

Genazino führt weiter aus:
“Die ausbleibende Begründung für etwas, was uns gefällt, ist vielleicht das merkwürdigste Nichtwissen, das es gibt. Wir haben in unserem Inneren eine offenkundig unklare (oder ungeklärte) Instanz, die Gefallen an etwas finden kann, ohne diesen Gefallen zu erklären, und das heißt: versprachlichen zu können.”

Genazino hat während seines Lebens Fotos und Postkarten bei Streifzügen durch Trödelläden, auf Flohmärkten, in Antiquariaten gekauft und immer wieder einer eingehenden Betrachtung unterzogen:

“Ich stellte das Bild bei mir zu Hause auf, und zwar so, daß ich es im Vorübergehen immer wieder anschauen konnte.”

Dies erinnert den Alten an seine Plakatwand mit Kunstkarten, Fotos, Postkarten in seinem ersten Klassenzimmer eines 1. und 2. Schuljahres. Die Kinder konnten sich – nach absolviertem Schulpensum – aber immerhin, eine Karte auswählen und – nach intensiver Beobachtung – einen Text dazu verfassen, ein erster Schritt in Richtung Schreibatelier.

Genazino weiter:
“Dieses Immer-und-immer-wieder-Betrachten regte allmählich eine Tätigkeit an, die (vermutlich: weil sie ebenfalls im Inneren geschah) die Erklärungslosigkeit langsam auflöste. Was wir immer wieder ansehen, beginnt eines Tages Worte und Einfälle in uns zu bilden. Wie das funktioniert, ist freilich unklar; es hat noch niemand beschreiben können, wie wir zu unseren Worten kommen.”

Welch eindringliche Begründung für den Stellenwert der ästhetischen Produktion als – durchaus im Sinne Wygotskis – Propeller und Motor der (schrift)sprachlichen Entwicklung.
Und weil es Genazino so genau trifft, kommte er morgen noch mal dran. Versprochen!

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